27.03.2015

Studium meets Rock'n'Roll: Lehrreiche Pharmacocktails

Was kann man von toten Musikstars lernen? Wie gut verkäuflich ihre Musik ist? Welche Stars und Genies der Welt verloren gegangen sind? In Frankfurt und München lernen die Studenten in Pharma-Vorlesungen niemals mit Beruhigungsmitteln und Alkohol feiern zu gehen.

Es ist eine neue innovative Unterrichtsidee. Medizin- und Pharmaziestudenten sollen nicht mehr in langweiligen Pharmavorlesungen stundenlang Medikamente runtergerattert bekommen. Nein, viel interessanter ist es doch in das Leben von Musikstars einzutauchen. Amy Winehouse, Michael Jackson und Whitney Housten sind gute Beispiele. Warum? Diese Stars können nicht nur gut singen. Sie sind auch alle in jungen Jahren an Drogen- und Medikamentenmissbrauch gestorben. Doch wie sehen die genauen Zusammenhänge aus? Wie können Medikamentencocktails einen ins Grab bringen? Auch damit beschäftigt sich die Pharmakologie. Denn dazu muss man die Wirkungsweise der verschiedenen Substanzen kennen und die spielt im Medizin- und Pharmaziestudium eine wichtige Rolle.

Wie man eine Pharma-Vorlesung peppiger gestalten kann

Zu Besuch bei Professor Theo Dingermann an der Frankfurter Goethe-Universität. Er hält dort zusammen mit seinem Kollegen Professor Dieter Steinhilber Vorlesungen für Pharmaziestudenten. Dass diese Vorlesungen etwas Besonderes sind, sieht man schon an den Besucherzahlen. Längst sind die legendären Vorlesungen über Frankfurt hinaus bekannt und es kommen viele Leute aus anderen Bundesländern extra angereist. Auch Schulen buchen ab und zu die musikalische Aufklärungsstunde der beiden Professoren. Eine gute Gelegenheit für sie, ihre Botschaften zu vermitteln. "Die Menschen sollten mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen", sagt Dingermann. Und das drückt sich auch in seiner Vorlesung aus. Doch was macht sie so besonders?

Schon bevor man den dunklen Hörsaal H3 am Campus Riedberg betritt, hört man von weitem laute Musik: „ Then I get night fever, night fever. We know how to do it. Gimme that night fever, night fever. We know how to show it...“. Auf der Leinwand im Vorlesungssaal sieht man drei Männer mit langen Haaren, die auf der Bühne abrocken. Die drei Gibbs-Brüder, besser bekannt unter dem Namen „Bee Gees“, waren in den 60ern und 70ern absolute Musikstars. Sie gehörten sogar zu den erfolgreichsten Bands der Welt. Und sie mussten wie viele andere Musiker ernste Krisen und Schicksalsschläge in ihrem Leben meistern. Mit dem Erfolg kommt oftmals auch die Schattenseite erklärt Prof. Dingermann den Studenten. Aber dabei geht es nicht nur um Drogenkonsum, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch. Die Bee Gees litten noch unter einer anderen Krankheit, die man so gar nicht von den coolen Rock- und Popstars erwartet hätte.

Bee Gees - Verhängnisvolle Gene

Professor Theo Dingermann erklärt den Studenten, die sich sichtlich über die alten Musikvideos von damals amüsieren, dass die Zwillingsbrüder Maurice und Robin Gibb an Darmkrebs verstarben. Schließlich geht es ja nicht ausschließlich um die Musik, sondern auch der Lerneffekt soll nicht zu kurz kommen. Auf der Leinwand tauchen daraufhin Bilder von Tumoren auf und es geht um die Kanzerogenese. Dingermann erklärt die dualistischen Faktoren, die zur Tumorentstehung beitragen durch ein anschauliches Beispiel. Den Menschen könnten wir uns als Bungeespringer vorstellen, der durch zwei Seile gesichert ist – also die homologen Chromosomenpaare – auf denen jedes Gen zweimal identisch vertreten ist. Nun könnte das eine Seil reißen – also ein Gendefekt vorkommen – was beispielsweise erblich veranlagt sein kann. So fällt der Mensch noch nicht – ist also noch nicht krank, aber es besteht bereits eine sehr viel größere Wahrscheinlichkeit, dass er an einem Tumor erkrankt, als Menschen bei denen beide Gene noch intakt sind. Reißt nun aber auch noch das zweite Seil, wird also das zweite Gen beschädigt durch bestimmte Umweltfaktoren, dann entwickelt der Mensch Krebs.                                   

So war es wohl auch bei den Gibbs-Brüdern. Maurice Gibb starb sehr plötzlich 2003 an Darmkrebs, sein Zwillingsbruder Robin kämpfte hingegen jahrelang mit der Krankheit, bevor auch er 2012 starb. An diesem Beispiel lernen die Studenten anschaulich wie erbliche und exogene Faktoren die Zellen entarten lassen. Bei Darmkrebs spielt, wie bei vielen Krebsarten, immer auch das familiäre Risiko eine Rolle. Davon wussten die Gibbs-Brüder vermutlich noch nichts, heute ist man mit der Forschung schon viel weiter. Immerhin gibt es heutzutage auch anerkannte und nützliche Therapien auf die Dingermann ausführlich eingeht.                                                             

Beispielsweise kann man zur Therapie von Darmkrebs monoklonale Antikörper einsetzen wie Cetuximab, der gegen den EGFR-1-Rezeptor gerichtet ist, also das Wachstum der Tumorzellen hemmt oder auch Bevacizumab, einen Angiogenesehemmer. Mit einer Halbwertszeit von mehreren Tagen bis Wochen, dauert es bis diese anschlagen, aber immerhin haben Studien bewiesen, dass sie das progressionsfreie Überleben bei kolorektalem Karzinompatienten verlängern können.

Michael – King of Pop

Gegen Ende der Vorlesung werden die Bee Gees nochmals mit einem Abschlusssong gewürdigt; man merkt, dass Dingermann ein Fan ist. Der Apotheker, der zugleich Professor für Biochemie und Molekularbiologie ist, erklärt wie er auf die Idee kam Musiker in seine Vorlesung einzubauen: „Ich glaube, für Studenten ist das Musikformat das Beste", sagt er. Die Biografie eines interessanten Menschen präge sich leichter ein, teilweise kennen die Studenten die Leidensgeschichte ihrer Stars auch schon. Deshalb analysiert Dingermann zusammen mit seinem Kollegen Steinhilber für die Studenten das Leben von Persönlichkeiten wie Michael Jackson, Joe Cocker, Elvis Presley, Freddie Mercury, Bob Marley, George Harrison, Wolfgang Niedecken und natürlich den Bee Gees. Außerdem lernen die Studenten hierbei auch die Finger von vermeintlich lustigen Drogenspielchen, Medikamenten- und Alkoholkonsum zu lassen. Es brauche häufig nur gesunden Menschenverstand, so Dingermann. Gegen Aids könne man sich schützen, die Risiken von Lungenkrebs und Hautkrebs mit Rauchverzicht und Sonnenschutzcremes verringern und Abhängigkeiten von Drogen und Alkohol meiden.                                                      

Das war Michael Jackson wohl nicht ganz klar. Der King of Pop starb an einer Überdosis des Betäubungsmittels Propofol. Neben dem Narkotikum fanden sich auch noch zwei weitere Beruhigungsmittel, darunter Valium, im Körper des 50-Jährigen. Dieser Medikamentencocktail führte nach jahrelanger Abhängigkeit des Musikers schließlich zum Herzstillstand. Das Fatale daran ist, dass ausgerechnet sein Kardiologe Conrad Murray, Michael die tödliche Dosis von 25 Milligramm Propofol gegen Schlafstörungen spritzte und sich der Arzt damit der fahrlässigen Tötung verdächtig machte. Damit das den Studenten in ihrer Karriere nicht passiert, ist es umso wichtiger die genauen Dosierungsgrenzen und Wechselwirkungen dieser Medikamente zu kennen. Das betont auch Dingermann. Denn auch Michael war nicht ohne Schuld. Der Star wollte mittels Medikamenten der Realität entfliehen, er war unsicher und überfordert und mischte Substanzen, die man nicht zusammen nehmen sollte. Das passiere laut Dingermann nicht nur exzentrischen Stars, sondern auch ganz normalen Bürgern. Der Einstieg sei harmlos und schleichend, der Druck des Alltags manchmal gewaltig. Denn, auch das betont der Wissenschaftler, es gehe hier erstmal nicht um illegale Drogen wie Heroin oder Kokain. Sehr häufig sind es gerade die legalen Medikamente gegen Schlafstörungen oder Depressionen, die man leicht verschrieben bekommt, die das größte Abhängigkeits- und auch Suizidpotential bei den Patienten entwickeln.

Elvis – King of Rock’n’Roll

So ging beispielsweise auch an Elvis Presley der Erfolg nicht spurlos vorbei. Der King of Rock’n’Roll kam gegen seine Abhängigkeiten nicht an. Dabei handelte es sich allerdings nicht um Alkohol oder Drogen. Elvis war medikamentenabhängig und hatte dazu noch eine ungesunde Leidenschaft für fettiges Essen. So standen beispielsweise Schweinekotelett mit Erdnussfüllung, Schokoladenpudding, Hamburger oder auch das berühmte Sandwich mit gegrilltem Speck, Erdnussbutter und zerstampften Bananen auf seinem Speiseplan. Dazu der Mix aus Medikamenten - in Elvis’ Todesjahr verschrieb ihm sein Leibarzt über 10 000 Pharmaka – und schon war der Grundstein für ein ungesundes Leben gelegt. Das exzessive Essen führte dazu, dass Elvis zunahm und aufgedunsen wirkte. Die zahlreichen Schmerzmittel, Psychopharmaka und Schlaftabletten taten den Rest. Dexadrine und Biphetamine sollten ihn zum Funktionieren bringen, mit Quaalud und Amytal wollte er wieder zur Ruhe kommen und mit Percodan und Dilaudid trieb er sich bis an den Abgrund. Der Musikstar entwickelte alle Anzeichen des Metabolischen Syndroms, einer sehr komplexen Krankheit, die man zu seinen Lebzeiten noch nicht kannte. Elvis wurde nicht nur übergewichtig mit bis zu 150 kg Körpergewicht, sondern er bekam auch Diabetes, Hypertonie und Stoffwechselstörungen. Er hatte grünen Star, war deshalb kurz vor seinem Tod fast blind und er litt unter Herzproblemen, einem stark vergrößerten Darm, Leberverfettung, Arthritis, Atemproblemen und zahlreichen anderen Symptomen. Das wurde seinem Körper irgendwann zu viel und Elvis starb 1977 mit 42 Jahren in seinem Badezimmer an Herzversagen.

Ob eine gewisse Veranlagung eine Rolle spielte oder nicht, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen. Dingermann erklärt, dass ein großer Anteil der Ausprägung des Körpergewichts Erbanlagen geschuldet sei, aber besonders relevant seien Umweltbedingungen. Prävention sei ebenso wichtig. Gerade in Zeiten, in denen mehr als die Hälfte der Deutschen Bevölkerung übergewichtig sei, ein Viertel sogar fettleibig.

Amy – Queen of modern Soul

Doch nicht nur Medikamentenabhängigkeit und Übergewicht sind eine schlechte Kombination. Besonders Alkohol kann in falscher Dosierung erheblichen Schaden anrichten. Alkohol kann von einigen Medikamenten, wie beispielsweise den Benzodiazepinen, die Selbstlimitierung aufheben, sodass man sich mit den - in normaler Verabreichung nicht lebensgefährlichen - Pharmaka auch umbringen kann. Verabreicht man das Getränk zusammen mit Wirkstoffklassen wie Z-Substanzen und Barbituraten, die per se schon starke Abhängigkeit auslösen, ist die Todesgefahr mindestens genauso groß. So starb auch Whitney Housten. Die Sängerin konsumierte Alkohol, Kokain und andere Mittelchen wie Marihuana und die Beruhigungsmittel Xanax und Benadryl. Daraufhin ist sie ohnmächtig geworden, hatte wahrscheinlich eine Herzattacke und ist in ihrer Badewanne ertrunken. Deshalb sollte man auch niemals mit Medikamenten und Alkohol feiern gehen. 

Doch auch purer Alkohol hat schon bei so manchen Stars zum Tod geführt. Beispiel Amy Winehouse. Die berühmte Sängerin, die moderne Soul-, R&B-, Rock-, Jazz- und Pop-Klänge mischte, war starke Alkoholikerin und starb 2011 an den Folgen ihres massiven Konsums. Bei ihrem Tod fand man mehr als vier Promille Alkohol in ihrem Blut. "Die hat sich totgesoffen", konstatiert Dingermann ohne Umschweife. In jungem Alter von 27 Jahren erlangte Amy so traurige Berühmtheit. Doch sie war nicht nur dem Alkohol verfallen. Die Sängerin war jahrelang drogensüchtig gewesen. Wegen ständiger Eskapaden wurde sie öfters ins Krankenhaus eingewiesen. Heroin, Kokain und Alkohol waren ihre ständigen Begleiter. Amy kam immer wieder mit Gewaltausbrüchen, Geschichten über Depressionen und Essstörungen negativ in die Schlagzeilen.

Blockbuster Pharmakologievorlesung

Doch nicht nur an der Universität Frankfurt lernen Studenten an Beispielen von berühmten Musikern die Auswirkungen von Medikamenten- und Drogenmissbrauch. Auch in München gibt es an der TU Pharmakologievorlesungen der ganz besonderen Art. Hier zeigt man passende Filmausschnitte, um den langweiligen Wirkstoffmechanismen Biss zu verleihen. Wir haben die zwei Medizinstudenten Anna R. und Leopold M. zu Ihren Erfahrungen befragt.                                                

Anna, die das 5. Semester besucht, zeigt sich wirklich begeistert von dem Unterricht: „Die Filmausschnitte in einiger unserer Pharma-Vorlesungen finde ich klasse. Viele Kommilitonen kommen sogar nur deswegen in den Hörsaal. Man kann die genannten Medikamente so gleich mit einer berühmten Szene verknüpfen und sich so viel besser merken.“ Auch Leopold aus dem 6. Semester stimmt ihr zu: „Das ist einfach ein super Konzept. Wenn ich die eine Serie aus Dr. House sehe, die ich mir schon daheim ein paar Mal angeguckt habe, und dann erst lerne was es eigentlich mit den ganzen Wirkstoffnamen auf sich hat, die da immer runtergerattert werden, kann ich mir sie viel leichter einprägen. Und außerdem ist das Ganze einfach super cool.“ Neulich zeigte einer der Professoren beispielsweise die berühmte Szene aus dem Oscar-prämierten Film Pulp Fiction, in der Mia Wallace eine Überdosis Heroin schnupft, da sie es für Kokain hält, und davon kollabiert. Vincent bringt sie zu seinem Drogenhändler Lance, der für Notfälle immer eine Adrenalin-Spritze parat hat. Mittels einer Adrenalininjektion direkt ins Herz schaffen sie es, Mia wiederzubeleben. „Diese Szene hat der Professor mit uns haarklein analysiert“, berichtet Leopold. „Das war echt cool, weil ich so viel Neues gelernt habe, über das man sich normalerweise keine Gedanken macht, wenn man so einen Film anschaut. Beispielsweise ist das mit der Adrenalinspritze nicht sehr plausibel. Falls Lance wirklich in das Herz getroffen hätte, was schon mal nicht so wahrscheinlich wäre, dann wäre Mia bestimmt nicht so mir nichts dir nichts einfach aufgewacht und alles wäre wieder super gewesen.“ Anna erklärt: „Wir haben die genauen Auswirkungen von Heroin besprochen, das ja an sich ein klassisches Opioid ist, nur sehr viel lipophiler als Morphin und daher auch sehr viel schneller im Gehirn anflutet. Das erzeugt auch die starke Abhängigkeit. So war es im Film nach der Überdosis, die Mia geschnupft hatte, auch sehr realistisch dargestellt, dass sie auf einmal Nasenbluten und verengte Pupillen bekam und kollabierte. Als Antidot hätte man dagegen eher Naloxon geben sollen, wobei auch Adrenalin wie im Film bei Herzstillstand theoretisch funktionieren könnte.“       

Film und Musik für die Medizin

Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Professoren versuchen Ihre Vorlesung durch moderne Filmsequenzen interessanter zu gestalten. „Da haben wir echt Glück“, meint Anna. Leopold erzählt uns: „Einer der Professoren meinte mal zu mir, dass er selbst schon in seiner Pharma-Vorlesung damals Filmausschnitte gezeigt bekam und es für ihn gerade diese Inhalte waren, die ihm am Besten in Erinnerung blieben. Er wolle das an uns Studenten weitergeben.“ Zudem könne man manche Dinge wie neurologische Symptome etwa gar nicht richtig vermitteln ohne einen Patienten – und sei es nur im Film – zu zeigen. Andererseits wären die Filme auch gut, um einfach mal die Monotonie der Vorlesung zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit der Studenten zu wecken. „Und das tun sie auch!“ bestätigt Anna. „Sieht man zuvor Bekanntes aus einem anderen Blickpunkt, ist es einfach viel interessanter. Bisher haben wir bei unserer internen Evaluation nur positives Feedback zu den Vorlesungen mit Filmausschnitten gegeben.“

Da können sich alle anderen Vorlesungen in der Medizin wohl mal eine Scheibe abschneiden. So kann man Studenten mit ganz einfachen Mitteln begeistern – nicht nur für Filme und Musikstars, sondern auch für das Lernen der pharmakologischen Zusammenhänge. Auch Leopold meint: „Es wäre sehr wünschenswert, wenn es so was an jeder Uni gäbe.“

 

Anmerkung: dieser Beitrag erschien zuerst auf DocCheck.